Postmodern biography in Urs Widmer’s novel "My Father’s book"

The article considers the novel "My Father’s book" written by a Swiss German-speaking author Urs Widmer with the focus on the particularities of postmodern biography. As the basis of the analysis definite features of postmodern writing were chosen.

Ðóáðèêà Ëèòåðàòóðà
Âèä ñòàòüÿ
ßçûê àíãëèéñêèé
Äàòà äîáàâëåíèÿ 16.06.2021
Ðàçìåð ôàéëà 26,2 K

Îòïðàâèòü ñâîþ õîðîøóþ ðàáîòó â áàçó çíàíèé ïðîñòî. Èñïîëüçóéòå ôîðìó, ðàñïîëîæåííóþ íèæå

Ñòóäåíòû, àñïèðàíòû, ìîëîäûå ó÷åíûå, èñïîëüçóþùèå áàçó çíàíèé â ñâîåé ó÷åáå è ðàáîòå, áóäóò âàì î÷åíü áëàãîäàðíû.

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Postmodern biography in Urs Widmer's novel “My Father's book”

Stikhina I.A.

Ekaterinburg, Russia

Abstract

The article considers the novel “My Father's book” written by a Swiss German-speaking author Urs Widmer with the focus on the particularities of postmodern biography. As the basis of the analysis definite features of postmodern writing were chosen. Structuralism methods enable to consider the relevant poetological aspects of the novel, mainly the principle of its organization with the accent on the gist and its realization. The first characteristic of postmodern writing traced in the novel is the variety of narrative perspectives. There is the third-person narrative mode when the family biography and the complicated historical period are presented in a quite estranged way; the first-person narrative mode that adds the autobiographical dimension; and the protagonist's mode when the Father expresses his own point of view in form of intertextual insertions - pages from his diary. Inconsistent and non-chronological narration, fragmentary structure and including of different type of text are the substantial features of this work. Changeable chronotopos, interknitting motives, intertextual references within the novel contribute to complicating of the text structure and make it similar to the structure of a polyphonic composition - the fuga. Another feature of postmodern text - blurring of the border between facts and fiction - is proved through Urs Widmer's confession concerning the role of autobiographical elements in his works and his doubts about the objectivity of any memories. The article emphasizes that despite the postmodern features the novel can't be defined as an anti-biography. Although the biographical time in this text is organized in a non-chronological way, the human life is presented as the whole complexity, the total of events and a definite story of individual existence. The article traces the ways for further poetological studies of the novel.

Keywords: postmodernism; postmodern texts; autobiographical elements; biographies; biographical discourse; diaries literary mo-tives; chronotopes; fugue; intertextuality, Swiss literature; Swiss writers; novels; literary creation.

Àííîòàöèÿ

ÏÎÑÒÌÎÄÅÐÍÈÑÒÑÊÀß ÁÈÎÃÐÀÔÈÊÀ Â ÐÎÌÀÍÅ ÓÐÑÀ ÂÈÄÌÅÐÀ «ÄÍÅÂÍÈÊ ÌÎÅÃÎ ÎÒÖÀ»

Ñòèõèíà È.À.

Åêàòåðèíáóðã, Ðîññèÿ

 ñòàòüå ðàññìàòðèâàåòñÿ âîïëîùåíèå ïîñòìîäåðíèñòñêîãî áèîãðàôè÷åñêîãî äèñêóðñà â ðîìàíå øâåéöàðñêîãî íåìåöêîÿçû÷íîãî ïèñàòåëÿ Óðñà Âèäìåðà «Äíåâíèê ìîåãî îòöà».

 êà÷åñòâå êðèòåðèåâ àíàëèçà âûáðàíû îïðåäåëåííûå õàðàêòåðèñòèêè ïîñòìîäåðíèñòñêîãî òåêñòà, ðåàëèçàöèÿ êîòîðûõ îòñëåæèâàåòñÿ â äàííîì ïðîèçâåäåíèè. Ïðè ïîìîùè ìåòîäà ñòðóêòóðíîãî àíàëèçà âûÿâëÿþòñÿ ñîîòâåòñòâóþùèå ïîýòîëîãè÷åñêèå îñîáåííîñòè ðîìàíà, à èìåííî, ïðèíöèï åãî îðãàíèçàöèè, ïðè ýòîì àêöåíòèðóåòñÿ ñâÿçü ìåæäó ñìûñëîì è ñïîñîáàìè åãî âîïëîùåíèÿ â òåêñòå.

Ê ïåðâîé îñîáåííîñòè ïîñòìîäåðíèñòñêîãî ïèñüìà, íàøåäøåé ïîäòâåðæäåíèå â ðîìàíå, îòíîñèòñÿ ðàçíîîáðàçèå ïîâåñòâîâàòåëüíîé ïåðñïåêòèâû.  ïðîèçâåäåíèè ïðåâàëèðóåò ïîâåñòâîâàòåëüíàÿ òî÷êà çðåíèÿ ðàññêàç÷èêà (Er-ErzahIsituation), ïðè ïîìîùè êîòîðîé äîñòàòî÷íî îòñòðàíåííî îïèñûâàåòñÿ áèîãðàôèÿ ñåìüè è ñëîæíûé èñòîðè÷åñêèé ïåðèîä; òàêæå âåäåòñÿ ïîâåñòâîâàíèå îò 1-ãî ëèöà (ÜÔ-ÅãåàÛçÏèàéîï), ïðèäàþùåå ðîìàíó àâòîáèîãðàôè÷åñêîå èçìåðåíèå; ïðèñóòñòâóåò è ïîâåñòâîâàíèå îò ëèöà ïåðñîíàæà ðîìàíà - îòöà, - êîòîðûé âûðàæàåò ñâîå îòíîøåíèå ê ïðîèñõîäÿùåìó â èíòåðòåêñòóàëüíûõ âñòàâêàõ (ñòðàíèöàõ èç åãî äíåâíèêà). Íåïîñëåäîâàòåëüíîå èçëîæåíèå ñîáûòèé, îòñóòñòâèå õðîíîëîãè÷åñêîãî ïîðÿäêà, ôðàãìåíòàðíûé õàðàêòåð ïîâåñòâîâàíèÿ è âêëþ÷åíèå â òåêñò ïðîèçâåäåíèÿ îòðûâêîâ èç äíåâíèêà, òî åñòü òåêñòà, îòíîñÿùåãîñÿ ê èíîìó æàíðó, òàêæå îòíîñÿòñÿ ê ïîñòìîäåðíèñòñêèì îñîáåííîñòÿì ðîìàíà. «Ñêîëüçÿùèé» õðîíîòîï, ïåðåïëåòàþùèåñÿ ìîòèâû è òåìû, èíòåðòåêñòóàëüíûå ññûëêè âíóòðè ñàìîãî ïðîèçâåäåíèÿ ñîçäàþò ñëîæíóþ ñòðóêòóðó ðîìàíà, íàïîìèíàþùóþ ñòðóêòóðó ìóçûêàëüíîãî ïîëèôîíè÷åñêîãî ïðîèçâåäåíèÿ - ôóãó. Åùå îäèí ïðèçíàê ïîñòìîäåðíèñòñêîãî òåêñòà - ðàçìûòèå ãðàíèö ìåæäó ôàêòè÷åñêèì è âûìûøëåííûì - ïîäòâåðæäàåòñÿ ìíåíèåì Óðñà Âèäìåðà î âàæíîé ðîëè àâòîáèîãðàôè÷åñêîãî íà÷àëà â åãî òâîð÷åñòâå è î ïðèíöèïèàëüíîì îòñóòñòâèè êàêîé-ëèáî îáúåêòèâíîñòè â âîñïîìèíàíèÿõ.  ñòàòüå ïîä÷åðêèâàåòñÿ, ÷òî, íåñìîòðÿ íà íàëè÷èå îïðåäåëåííûõ ïðèçíàêîâ ïîñòìîäåðíèñòñêîãî äèñêóðñà, ðîìàí íåëüçÿ îòíåñòè ê ïîñòìîäåðíèñòñêèì àíòèáèîãðàôèÿì. Áèîãðàôè÷åñêîå âðåìÿ â ïðîèçâåäåíèè íå îðãàíèçîâàíî â ñîîòâåòñòâèè ñ õðîíîëîãè÷åñêèì ïðèíöèïîì, îäíàêî æèçíü ïðåäñòàâëåíà â íåì êàê ñâÿçàííîå âîåäèíî öåëîå, âêëþ÷àþùåå ñîâîêóïíîñòü ñîáûòèé è ÿâëÿþùååñÿ îïðåäåëåííîé èñòîðèåé èíäèâèäóàëüíîãî ñóùåñòâîâàíèÿ. Ñòàòüÿ íàìå÷àåò äàëüíåéøèå íàïðàâëåíèÿ èññëåäîâàíèÿ ïîýòîëîãè÷åñêèõ îñîáåííîñòåé ðîìàíà.

Êëþ÷åâûå ñëîâà: ïîñòìîäåðíèçì; ïîñòìîäåðíèñòñêèå òåêñòû; àâòîáèîãðàôè÷åñêèå ýëåìåíòû; áèîãðàôèè; áèîãðàôè÷åñêèé äèñêóðñ; äíåâíèêè; ëèòåðàòóðíûå ìîòèâû; õðîíîòîïû; ôóãà; èíòåðòåêñòóàëüíîñòü, øâåéöàðñêàÿ ëèòåðàòóðà; øâåéöàðñêèå ïèñàòåëè; ðîìàíû; ëèòåðàòóðíîå òâîð÷åñòâî.

Der Roman „Das Buch des Vaters“ wurde im Jahre 2004 geschrieben und später als Teil des Triptychons vom Rezensenten Roman Bucheli bezeichnet. Das betont er in seinem dem 70. Geburtstag des Autors gewidmeten Artikel [Bucheli 2008]. Das Triptychon bilden drei Romane zusammen: „Der Geliebte der Mutter“ (2000), „Das Buch des Vaters“ (2004) und „Das Leben als Zwerg“ (2006). Manche Rezensenten vereinigen nur zwei Romane - „Der Geliebte der Mutter“ und „Das Buch des Vaters“, weil sie sich spiegeln [Wunderlich 2005] und, nach Sebastian Domsch, wie ein „literarischer Reißverschluss“ funktionieren, oder wie ein „komplexes Puzzle mit nur zwei Teilen“ [Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung 2004].

In diesen Romanen geht es um eine Familie, die der Leser mit der Familie des Autors identifiziert. Der erste Roman ist der Mutter gewidmet, und die Figur des Vaters kommt nur zeitweise uns ganz oberflächlich zum Vorschein, als ob ihn überhaupt nicht gäbe. Der Germanist Beat Mazenauer bemerkt: „Die Mutter heiratet, doch von einem Mann ist nur einmal die Rede, anlässlich seines Todes“ [Mazenauer 2001]. Das hat einen Grund - im Roman spielte er im Leben der Mutter kaum eine große Rolle. Aber im „Buch des Vaters“ wurde diese Lücke verdeckt. So betont Roman Bucheli zu Recht: „Die stumme Anwesenheit des einen im Buch des anderen schafft eine komplementäre Bindung“ [Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung 2004]. Der Rezensent |rät uns, den Roman ,Das Buch des Vaters` und ,Der Geliebte der Mut-ter* neben- und hintereinander zu halten, denn die beiden romanesken Biografien der Eltern Widmers ergänzten sich gerade deswegen, weil sie keine Berührungspunkte hätten“ [Ibid]. Doch das Kind, das von Lesern mit Urs Widmer identifiziert werden kann, „lebt“ in beiden Romanen. Manchmal ist es als „Kind“ oder als „Sohn“ vom Autor bezeichnet, manchmal als „Ich“, was die autobiographische Perspektive des Romans betont. Die Interpretation der Wechselung von Perspektiven, deren Beispiele in beiden Romanen vorhanden sind, kann produktiv sein. Die Literaturkritikerin Pia Reina- cher betont, dass „die Not des Kindes, das als Drittes eingespannt ist in diesem Elterngefährt - mal redet der Erzähler distanziert von ,das Kind*, mal spricht er als Bauchredner aus ihm heraus -, wird im Vaterbuch kraß manifest“ [Reina- cher 2004]. Das Kind wird also als der Er-Erzähler empfunden, der über die Vergangenheit erzählt und dafür von ihr distanzieren muss, und gleichzeitig als inhärentes Teil dieser Vergangenheit, indem es sie im Moment des Erzählens erlebt und darum die Ich-Form bevorzugt. Wenn der Ich-Erzähler durchbricht, verschwindet der Distanzierungseffekt, und die autobiographische Dimension des Textes entfaltet sich weitreichend. So wird zum Beispiel die Szene des kindlichen Traumas dargestellt, als die Mutter des Kindes nach dem schweren Nervenausfallen in die psychiatrische Klinik abfahren sollte und der Vater sie begleitete. Dabei wird die Mutter Clara genannt, und diesbezüglich muss man ergänzen, dass statt Mutter und Vater die Namen der Eltern - Karl und Clara - manchmal auftauchen, indem die verfremdete distanzierte Position des Erzählers zum Vorschein kommt. Unten ist ein Teil des obenerwähnten Auszugs aus dem Roman angeführt: „Kurz bevor das Auto in den steilen Teil der Straße hinabtauchte, sah der Vater das Haus noch einmal an. Sein Sohn stand im Licht der Tür, bocksteifund winzig. Schneeflocken strömten vom Himmel.

Vater kam noch in derselben Nacht zurück - das Kind, ich, stand mit einer daumenhohen Schicht Schnee auf dem Kopf vor der Tür - und stellte sich, in Hut und Mantel - Schnee auch auf ihnen -, an jenes Fenster, an dem sonst Clara stand und zum Bannwald hinüberblickte. Jetzt starrte er. Er wollte, vielleicht, sehen, was sie gesehen hatte. Nur,jetzt war Nacht, und der Schnee wirbelte weiterhin vom Himmel, ein weißes, weiter hinten schwarz werdendes Gestöber, dessen Flocken von oben und von unten und von kreuz nach quer flogen. Der Schnee auf Hut und Mantel schmolz und ließ den Vater in einer Pfütze stehen. Neben dem Vater stand das Kind, schmolz ebenfalls und schaute wie er, allerdings - ich war klein - nicht durchs Fenster, sondern auf die Rohre der Zentralheizung. Ich preßte mich gegen sie und schob die rechte Hand in die linke des Vaters, der sie drückte, ohne den Blick vom Fenster abzuwenden. - Der Schnee fegte über die Ebene, als fliehe er, schlug Haken, stieg in Säulen nach oben, kam in dicken Packen herab und prallte auf den Acker. - Später ging der Vater in die Küche - das Kind mit ihm -, öffnete eine Büchse mit weißen Bohnen in Tomatensauce, und er und das Kind aßen sie, kalt, mit einer gemeinsamen Gabel. Diesmal nahm ich einen Hocker mit und sah nun, neben dem Vater stehend, auch ins Freie. Der Schnee hatte zu strömen aufgehört, und als es dämmerte - Stunden später, in denen der Vater zwanzig oder dreißig Zigaretten geraucht hatte -, lag die Ebene wie ein Meer da, mit sanften weißen Wellen; der ferne Wald hätte auch ein Felsenriffsein können. Stille, nur der Atem von Vater und Kind, und das Knacken der Heizung. Im Schnee da und dort Spuren von Hasen oder Wildschweinen. Der Himmel weiß wie der Schnee, so daß da draußen alles Himmel war, oder Schnee. - So standen der Vater und ich auch noch, als es taghell war und Frau Holm kam, die einmal in der Woche die Wäsche machte und deren Tag zufällig heute war“ [Widmer 2005: 125-126].

Solche Mischung von Perspektiven signalisiert von be-stimmter Ungetrenntheit des Autors von der Romanfigur. Subjektiver Synkretismus wurde von mehreren Litera-turwissenschaftlern studiert, darunter A. Wesselowski, O. Freudenberg, M. Bachtin u. a. [Broytman 2004: 20-24]. O. Freudenberg betonte die Ungetrenntheit zwischen dem Subjekt und Objekt im Mythos, der erzählt wird, d. h. die Abwesenheit des Unterschieds zwischen dem Erzähler, dem Material (was erzählt wird) und dem Rezipienten (wem erzählt wird)“ . Der Erzähler ist ein „ungetrennter Autor-HeldGott“ [Ibid: 25]. M. Bachtin betrachtet die Zusammengehörigkeit von „Ich und dem Anderen“ als besondere „duale Einheit“ in Form von „Autor-Held“, dabei betont er „die fundamentale Verwurzelheit des subjektiven Synkretismus im Bewusstsein“, denn es gibt den prinzipiellen Bedarf „von einem Anderen“ für „Ich“ und zwar dieser Bedarf generiert die Kunst [Ibid: 27]. Die Literatur machte die Etappen des Synkretismus mit der Fusion vom Autor und Helden und der eidetischen Poetik mit deren Unterscheidung durch, und ihr moderner Zustand ist durch die „Poetik der künstlerischen Modalität“ (so S. Broytman) geprägt, wo der Autor und Held keine klaren Rollen in der Struktur des Werkes darstellen, sondern als abwechselnde bewegliche Beschaffenheiten zum Vorschein kommen. S. Broytman betont, dass sowohl die Rückkehr zum originellen Synkretismus des Autors und des Helden als auch zu deren späteren Unterscheidung und Autonomie auf dem nächsten Niveau verwirklicht wird, und die Literatur hat also von der Darstellung der Charaktere zur

Darstellung von Persönlichkeiten übergangen. Dabei ent-steht auch die Mehr-Subjekt-Erzählsituation mit der Ten-denz zur Wechselung der klassischen Rollen vom Autor und Helden [Ibid: 262]. postmodern biography widmer novel

Betrachten wir den obenangeführten Auszug vom Standpunkt der Mehr-Subjekt-Erzählsituation. Wenn der Er-Erzähler im Roman von Urs Widmer über „das Kind“ berichtet, trägt es dazu bei, die künstlerische Distanz zum Geschehen zu schaffen. Außerdem vermittelt die auktoria- le Perspektive bestimmte Verfremdung der Persönlichkeit des Autors in der Gestalt des Erzählers. Der Erzähler ist die eigenständige Gestalt, die vom Autor geschaffen wurde, wie auch Charaktere des Romans. Und diese geschaffene Gestalt berichtet über den Autor in der dritten Person (das Kind, der Sohn). Solche indirekte Beobachtung durch den vom Autor geschaffenen Erzähler vermittelt also Distanz, Verfremdung und schafft die fiktive Welt des Romans. Bei der Umstellung auf die Ich-Erzählsituation übernimmt der Autor selbst die erzählerische Funktion: er distanziert sich nicht von der dargestellten Welt und gehört als Figur in die Handlung. So beansprucht der Ich-Erzähler einen Wirklichkeitsbericht, und die Autobiographie wird dabei zu einer der häufigsten literarischen Gebrauchsform [Lup- pova 2007: 24]. Die Subjektivität des Autors vermittelt den Lesern das Gefühl der Verbindung mit dem Ich-Erzähler, und wenn es um die Autobiographie geht, dann mit dem primären Autor, der dem Werk transzendent ist [Broytman 2004: 236]. Während Urs Widmer die erzählerische Per-spektive von „Ich“ zu „Er“ wieder ändert, dann schafft er die Situation der absichtsvollen Distanzierung und betritt die fiktionale künstlerische Sphäre. So kommt die Vermi-schung der klassischen Perspektive eines Romans mit der autobiographischen vor. Als Ergebnis entsteht aus dieser Synthese ein Kunstwerk - der Roman mit autobiographi-schen Elementen.

Die erzählerische Perspektive hat also im Roman meh-rere Varianten: mal ist es Er-Erzähler, der ziemlich ver-fremdet die Biographik einer Familie zum Ausdruck bringt und über die komplizierte geschichtliche Periode und ihre besondere schweizerische Prägung wertvolle Informa-tionen mitteilt; mal ist es Ich-Erzähler, der vor allem über seine eigene Familie, seine Eltern und sich selbst berichtet, was dem traditionellen autobiographischen Schreiben sehr nahe steht; mal ist der Erzähler die Romanfigur - der Va-ter, der über sein Leben nachdenkt oder dessen Ereignisse beschreibt (diese Intertexte werden als Seiten aus seinem Tagebuch gestaltet). Solche Mischung aus Standpunkten und Perspektiven - diese multidimensionale Optik - ist den postmodernen Werken eigen. „Multiperspektivität bis hin zu widersprüchlichen Perspektiven“, ist, so Cornelia Nalepka, ein der Merkmale postmodernen biographischen Schreibens [Nalepka 2009: 394]. Der Ausgangspunkt dafür ist das Konzept vom „Tod des Autors“, das das Ende der 1960er Jahre von Roland Barthes und Michel Foucault ent-wickelt wurde, auch Pierre Bourdieus radikale Kritik an der „biographischen Illusion“ Mitte der 1980er Jahre [Ibid: 393].

Die nächsten wichtigen Merkmale postmodernen bio-graphischen Schreibens (so Cornelia Nalepka), die wir im Roman betrachten möchten, sind die diskontinuierliche und nicht-chronologische Erzählweise, der fragmentarische Charakter der Darstellung und Einbeziehen unter-schiedlicher Textsorten (hier - des Tagebuches) [Ibid: 394].

Die Struktur des Romans kann man wirklich als dis-kontinuierlich bezeichnen. Das heißt, dass der Chrono- topos [Bakhtin 1975] immer wechselt, und die Zeitperioden sich immer aufeinander schichten. Im Roman gibt es 27 Teile, die nur durch den Interwall geteilt sind, sie sind nicht nummeriert. Im ersten Teil, der 11 Seiten hat, sind schon mehrere Zeitperioden und mehrere Motive präsentiert: der Erzähler beginnt mit der Bestimmung von politischen Interessen seines erwachsenen Vaters („Mein Vater war ein Kommunist. Er war nicht immer ein Kommunist gewesen, natürlich nicht, und er war, als er starb, keiner mehr. Wenn man es genau nimmt, blieb er nur wenige Jahre lang ein Mitglied der Kommunistischen Partei, von 1944 bis so um 1950 herum. Danach [...]“ [Widmer 2005: 5]); dann gibt es eine Rückblende in seine Kindheit, als der 10-jährige Vater den Kaiserbesuch miterlebt; danach geht alles chronologisch: der erste Weltkrieg, die 30er Jahre und seine Erfahrungen mit Kommunisten, der Anschluss an die kommunistische Partei in 1944; dann wieder eine Rückblende in die Vergangenheit und die Liebesgeschichte des Vaters (Bekanntschaft mit Clara, ihre Hochzeit und Flitterwochen). Am Ende dieses Teils gibt es noch eine Rückblende zum Chronotopos des Kaiserbesuchs, wenn die erwachsenen Leute - der Vater und Clara - sich auf dem Foto vom Kaiserbesuch finden. Als Kinder haben sie einander nicht gewusst. So wird das Sujet in diesem Teil zu einem Ring. Die Persönlichkeit des Vaters wird hier in mehreren Aspekten entfaltet: sein politisches Engagement, seine Liebesgeschichte, seine Kindheit während des Ersten Weltkriegs.

Im zweiten Teil geschieht der rasante Sprung des Chronotopos - der Tod des Vaters. Derselbe Chronoto- pos figuriert im letzten 27. Teil des Romans. So wird der Zyklus beendet, zwischen dessen Endpunkten das ganze Leben des Vaters liegt. Im zweiten Teil wird zum ersten Mal „das Buch“ erwähnt. Das ist das konkrete Buch, in dem der Vater Notizen macht: „[...] mit einem Federkiel und Tusche in einem Buch, das in schwarzes Leder gebunden war, einem Folianten voller einst leerer Seiten, die er inzwischen schier alle beschrieben hatte. Er tat das seit einem halben Jahrhundert“ [Ibid: 15]. Der Vater nennt das Buch „sein Lebensbuch“ [Ibid: 16]. Im dritten und im vierten Teil, wo der Chronotopos der Kindheit dominiert, werden Sitten und Bräuche des alten schweizerischen Dorfs hoch in den Bergen beschrieben, dabei verfließt die Grenze zwischen Biographischem und der skurrilen Fiktion. Im vierten Teil bekommt der zwölfjährige Vater während der Initiation in diesem Dorf sein weißes Buch (so hieß es, weil die Seiten weiß (d. h. leer) waren, als Karl es bekam). Es ist also leer und er muss bis zu seinem Tod, jeden seiner Tage „darin aufschreiben“ [Ibid: 31]. Das macht der Vater nach der alten Tradition lebenslang ganz tüchtig, wie auch seine Vorfahren. Dieses Buch wird zum Titel des Romans - „das Buch des Vaters“. Der intertextuelle Bezug auf das konkrete Buch (eigentlich Tagebuch), das der junge Vater im Alter von 12 Jahren nach der Tradition bekommt, erlaubt dem Autor das „Zitieren“ - einige Auszüge aus diesem Buch werden in Kursivschrift dargestellt. Sie sind in der Ich-Form vom Standpunkt des Vaters geschrieben.

Im zweiten, dritten und vierten Teil sind folgende Motive exponiert: die alten Traditionen des schweizerischen Dorfs, die erste Jünglingsliebe des Vaters, der Beginn vom Schreiben eines Tagebuches und somit der Beginn des schriftstellerischen Weges des Vaters, sein Tod. Die angeführten Motive werden unterbrochen, dann entwickeln sie sich in anderen Teilen, schichten sich auf, und so wird die umfangreiche Anschauung der vom Autor entworfenen künstlerischen Welt gefördert. Neue Motive werden auch angefügt, z. B. der Zweite Weltkrieg, der militärische Dienst des Vaters, die Krankheit der Mutter u. a. Der „gleitende“ Chronotopos stört dabei nicht, umgekehrt, er hilft dem Autor das einheitliche Bild zu schaffen, das das Schicksal eines begabten Menschen in die historische Epoche einbezieht. Außerdem trägt dieses Verfahren dazu bei, logische Beziehungen zwischen Ereignissen, parallelen Handlungen, Folgen und Gründen zu bestimmen und zusammenzufassen.

Hier möchten wir zwei Handlungen anführen, die das Motiv der Kollision zwischen alten Traditionen und der Gegenwart entwickeln: die Reisen des Vaters und des Soh-nes ins Dorf hoch in die Berge, um Särge für gestorbene Väter zu holen. Urs Widmer beschreibt das allmähliche Ab-sterben der archaischen dörflichen Tradition, die Ahnen in Särgen, die vor jedem Haus ordentlich aufgestapelt waren, zu begraben. Dieses Motiv beginnt im dritten Teil, wo die Bräuche beschrieben sind. Im 19. Teil gibt es die Fortset-zung - der Vater des Erzählers, der Städter, kommt weit weg ins Heimatdorf, um den Sarg für seinen vor kurzem gestorbenen Vater zu holen. Obwohl das ganze Dorf den elektrischen Strom schon hatte, standen sie Särge noch wie das Holzgebirge draußen, und es gab eine Glasvitrine im Gasthof, wo die Preisbecher alter Sargprämierungen waren [Ibid: 159]. Die ironischen Beobachtungen des Erzählers betonen die Merkwürdigkeit solcher Anhänglichkeit an den alten Traditionen im XX. Jahrhundert, indem sie sie im grotesken Licht darstellen. Mit riesiger Mühe trägt der Vater den Sarg auf seinem Rücken durch den Wald, zerrt ihn in den Bus hinein, dann in den Zug und schließlich fällt auf den Sargdeckel in seinem eigenen Garten so heftig, dass das Holz splittert. Das Motiv der Reise ins Heimatdorf wird weiter im letzten Teil des Romans entwickelt. In diesem Teil fährt schon der Sohn (der Erzähler selbst) ins Vaterdorf, um den Sarg für seinen verstorbenen Vater, dessen ähnliche Reise schon beschrieben wurde, zu holen. Der Erzähler kommt mit dem Auto und beobachtet Verän-derungen: das moderne schweizerische Dorf mit der auto-matischen Tür im Gasthof braucht keinen uralten Brauch, der Touristen verhindert, alles „schön zu haben“ [Ibid: 201]. Im ganzen Dorf gibt es nur einen Sarg vor der Schmiede. Die Gemeinde kann nichts tun, denn er steht auf dem Pri-vatgrund. Das Motiv der Kollision, des symbolischen Auf-pralls zwischen der Vergangenheit und Gegenwart, kommt im Roman mehrere Male zum Vorschein. Die Ereignisse wiederholen sich auf den weiteren Ebenen, zeitlich von ei-nander getrennt. So wird der Eindruck vermittelt, dass das Menschenleben kreisförmig verläuft, dass es immer wieder zu etwas Bedeutendem zurückkehrt bis es sich entschieden oder endgültig aufgelöst wird. Man kann als Beispiel auch das Foto anführen, auf dem zwei Kinder im Gedränge während des Kaisersbesuchs zu sehen sind. Diese Kinder kannten einander nicht, aber Jahrzehnte später wurden sie Eheleute. Noch ein Beispiel: das Motiv der echten Liebe, der Prädestination eines Menschen einem anderen, das während der Initiation von Karl angegeben wurde, kommt am Ende des Romans wieder: Karl verliebte sich im dörflichen

Kirche in ein junges Mädchen mit Sommersprossen, das ihn auch anstrahlte. Dann hat er es nie mehr gesehen. Im 26. Teil des Romans, am Abend vor seinem Tod, besuchte der kranke Karl die literarische Veranstaltung von einer rätselhaften schweizerischen Lyrikerin, die nie öffentlich auftrat [Ibid: 195]. Das war das Mädchen mit Sommersprossen aus seinem Heimatdorf, die Tochter des Schmieds, die ihn in der Nacht der Initiation küsste. Und das war ihr Haus, vor dem der letzte Sarg noch stand, als Symbol der vergessenen Vergangenheit. Das erfährt aber nicht Karl, sondern sein Sohn nach dem Tod des Vaters, wenn er ins Dorf ankommt. Das Leben eines erwachsenen Manns begann für Karl auf seinem Zwölfjährigenfest, an dem dieses Mädchen auch teilnahm, und beendete am Tag, als er ihre Veranstaltung schon viele Jahre später besuchte. Die Figur des Mädchens, die symbolisch die Literatur und die Liebe vereinigte, verband den Beginn und das Ende des Lebenswegs vom Vater. Man kann diese letzte Begegnung auch wie die Erkennung einer ver-säumten Möglichkeit für ein harmonisches Leben mit der richtigen Ehehälfte deuten. Der Rezensent von Frankfurter Allgemeine betont: «Karl begreift plötzlich, daß er das Leben vergeudet hat» [Reinacher 2004]).

Das Thema des schriftstellerischen Weges dringt den ganzen Roman durch. Zuerst wird es am Anfang des Ro-mans als das Motiv des weißen Buches präsentiert, dann in weiteren Teilen erheblich entwickelt, während der Erzähler über die literarische Arbeit des Vaters berichtet. Im letzten Teil erreicht das Motiv des Buches seinen Höhepunkt. Nach dem Tod des Vaters wirft die Mutter dieses Buch weg, mit anderen Papieren von ihrem Mann. Sie liegt keinen Wert sowohl auf das Buch, als auch auf sein literari-sches Schaffen überhaupt. So bekommt auch das Motiv der schriftstellerischen Arbeit einen neuen Impuls: das verlo-rene weiße Buch wird für den Sohn besonders wichtig und er entscheidet sich, es zu rekonstruieren, d. h. wieder zu schreiben, damit es nicht verloren geht. Er macht das als Erzähler in Form von Erinnerungen über seinen Vater und seine eigene Kindheit, durch „Rekonstruktionen“ von den Seiten aus diesem Buch, das er nur flüchtig gesehen aber eigentlich nie durchgelesen hat. So entsteht die literarische Verbindung zwischen Generationen, zwischen dem Vater und dem Sohn, den Schriftstellern. Intertextualität ist hier, unserer Meinung nach, das Verfahren, das den Sinn und die entsprechende Form erzeugt. Der Titel des Romans - „Das Buch des Vaters“ - ist schon intertextuell. Das ist die Verweisung auf einen anderen Text - das (Tage) buch des Vaters. Dem Leser stehen aber keine Memoiren des Vaters zur Verfügung. Das ist vom Sohn geschriebenen und auf solche Weise „rekonstruierten“ Stoff des Tagebuches seines Vaters - so spielerisch stellt der Autor den Inhalt vom „Das Buch des Vaters“ vor. Und der Erzähler (und vermutlich der Autor, falls wir ihn doch in gewissem Maße mit dem Erzähler identifizieren wagen) braucht dieses Buch - das sind Erinnerungen und die Gedanken des Sohnes über den verstorbenen Vater und somit die beste Epitaphe für ihn. Dazu kann man die Meinung des Rezensenten Martin Wolf hinzufügen, der betont, dass dieser Roman „[...] eine literarische Liebeserklärung - und eine späte Wiedergutmachung“ geworden ist [Wolf 2004].

Die Tatsache, dass der erzählende Sohn das Buch des Vaters nur flüchtig zu sehen bekomme bevor es verschwin-de, „und er müsse infolgedessen den Verlust mit seiner Er-zählung ausgleichen“, „klingt reichlich postmodern“, meint der Rezensent Sebastian Domsch. „Doch Widmer geht damit so ,zurückhaltend` um, so ,sparsam` und trotzdem ,meisterhaft`, dass es einfach großartig zu lesen ist“ [Re-zensionsnotiz zu Die Tageszeitung: 2004]. Sowohl mehrere Verweisungen auf das weiße Buch im Text des Romans, als auch die ,Rekonstruktionen` von verlorenen Seiten des Buches, tragen zur Intertextualität des Romans bei. Dabei geht es vor allem um die ,innere` oder ,fiktive` Intertextualität (Begriff von Arnold I.W.)“ [zit. n.: Eremenko 2012: 134], die für Widmers Schaffen überhaupt typisch ist (mehrere Beispiele dafür gibt es in Romanen „Liebesbrief für Mary“ [Widmer 1995], „Forschungsreise“ [Widmer 1976], „Im Kongo“ [Widmer 1998] u. a.). Um diesen Typ von Intertextuali- tät geht es, wenn Verweisungen, Referenzen, Kombinieren von verschiedenen Texten innerhalb eines Werkes anwesend sind, d. h. die Struktur des Werks vereinigt mehrere innere Texte, ohne äußere Quellen sich einzubeziehen.

R. Barthes betonte, dass die Struktur des erzählerischen Textes der Struktur einer Fuge nahe ist: die erzählerische Form kann die Zeichen im Laufe einer Handlung zertrennen und die entstehenden Lücken mit unvorhersagbaren Elementen ausfüllen. Darum können die Elemente, die zu einem Erzählstrang gehören und eine Einheit bilden, von einander getrennt sein, und zwischen ihnen „quetschen sich die Elemente, die zu den anderen Erzählsträngen gehören“ [Bart 1987: 416-417]. Hier auch: „die Erzählstränge können nach dem Prinzip des Kontrapunkts verbindet werden“ [Ibid: 405-406]. Der Roman „Das Buch des Vaters“ erinnert uns strukturell an das polyphonische Musikwerk, in dem das Motiv in der Exposition präsentiert wird, dann in seiner Entwicklung mit verschiedenen Stimmen wiederholt und schließlich im Koda zusammengefasst wird. Die im Roman angegebenen Motive sind also Stimmen, die zuerst exponiert, werden, dann unterbrochen, aber setzen sich in anderen Teilen fort, schichten sich aufeinander, verflechten sich und strömen harmonisch in die Coda ein. In der Coda oder am Ende des Romans stirbt der Vater, der Sohn aber will sein Leben dokumentieren, indem er die Entscheidung trifft, „das Buch“ von Neuem zu schreiben. So kommen mehrere Motive/Stimmen zusammen. Der Roman wird zu einem Requiem für einen verstorbenen Schriftsteller, aber vor allem den geliebten Vater des Erzählers.

Die für das postmoderne biographische Schreiben üb-liche diskontinuierliche und nicht-chronologische Erzähl-weise und demzufolge der fragmentarische Charakter der Darstellung sind also bedeutende Merkmale dieses Romans. Das Einbeziehen anderer Textsorte nämlich des Tagebuches, mehrere Bezüge auf dieses Tagebuch und die Idee, den Roman als vom Standpunkt des Erzählers „rekonstruiertes“ Buch des Vaters zu repräsentieren, also die vom Autor geschaffene „fiktive“ Intertextualität, trägt zu der postmodernen Perspektive reichlich bei. Noch ein Merkmal des postmodernen Schreibens, das Cornelia Nalepka erwähnt, nämlich das Verfließen der Grenze zwischen der Darstellung von Fakten und Fiktion, das wegen des Infragestellens der Faktizität sowie der Zweifel an der Objektivität des Quellenma-

flHTEPATyPA terials geschieht [Nalepka 2009: 394], kann im Roman „Das Buch des Vaters“ betont werden. Der Roman ist ein Kunstwerk, das autobiographische Elemente enthält. Und falls es um die Autobiographie geht, kann man als Quellenmaterial das Gedächtnis des Autors bestimmen. Urs Widmer aber erklärt, dass das Gedächtnis keine zuverlässige Quelle sei. Das kann aus seinem Artikel in der Neuen Zürcher Zeitung entnommen werden, wo der Autor folgendes betont: „Unser Gehirn, meines jedenfalls gewiss, ist ununterbrochen damit beschäftigt, Erinnerungslöcher zu stopfen bzw. die einzelnen Erinnerungstrümmer in eine scheinbar stimmige Form zu bringen. Was an zwei Tagen mit zwei verschiedenen Mitspielern geschehen ist, mag in der Erinnerung durchaus zu einem Erlebnis verschmelzen, und du glaubst das aufrichtig. Denn so - das ist der Sinn des ganzen Manövers - ist das Erlebte in der veränderten Form besser zu ertragen, als es das in der originalen gewesen wäre“ [Widmer 2013]. Der Autor zitiert auch einen dazu äußerst passenden Aphorismus von Nietzsche: „Das Gedächtnis sagt: So war es. Der Stolz sagt: So kann es nicht gewesen sein. Endlich gibt das Gedächtnis nach“ [Ibid]. In demselben Text bekennt Urs Widmer, dass seine in den letzten Jahrzehnten geschriebenen Bücher „so sehr der sogenannten Phantasie verpflichtetet zu sein scheinen“, dabei aber „aus viel mehr autobiografischem Material gespeist werden, als man ihnen ansieht“. Der Autor betont, dass er radikal alle Stollen seiner Erinnerung ausgeräumt und mal so, mal anders metaphorisiert habe. Einige Jahre später beim Schreiben seiner Autobiographie „Die Reise an den Rand des Universums“ merkt er, „dass der Unterschied zum Schreiben eines ,normalen` Romans auch nicht so gross war“. Obwohl er sich „die allergrösste Mühe gab, diesmal strikte beim tatsächlich Erinnerten zu bleiben - richtige Namen, richtige Daten“, war ihm klar, dass er doch „erfand“ [Ibid]. Diese Bekenntnisse bestätigen das Verfließen der Grenze zwischen der Darstellung von Fakten und Fiktion in seinen Werken, unter anderem die Verflechtung des fiktiven und faktischen Materials im Roman „Das Buch des Vaters“.

Wir haben also fünf Merkmale betont, die den Schleier der postmodernen Poetik des Romans „Das Buch des Vaters“ lüften. Kurz zusammengefasst sind das: Multiperspektivität bis hin zu widersprüchlichen Perspektiven; diskontinuierliche und nicht-chronologische Erzählweise; der fragmentarische Charakter der Darstellung; das Einbeziehen anderer Textsorte; Verfließen der Grenze zwischen der Darstellung von Fakten und Fiktion. Man muss auch betonen, dass obwohl dieser Roman bestimmte „postmoderne Charakteristika“ enthält, kann er keinesfalls als postmoderne „Anti-Biographie“ bezeichnet werden. Die biographische Zeit ist im Roman nicht linear konstituiert, trotzdem wird das Leben in diesem Werk als kohärente Gesamtheit, Komplex der Ereignisse und bestimmte Geschichte individueller Existenz dargestellt. Die unerwarteten Kombinationen von den Mitteln, Methoden, Formen und dem Stoff bereichern die Poetik des Romans und deuten weitere Möglichkeiten an, seine poeto- logischen Besonderheiten zu forschen, unter anderem im vergleichenden Aspekt als eine der Varianten der neuzeitlichen Auto-Biographie oder des Tagebuches.

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